Zeiler Baudenkmäler

Speiersgasse 11

  • Speiersgasse 11

    Die liebevoll renovierte Rokoko-Fassade. Das Hoftor wurde originalgetreu nachgebaut.

  • Speiersgasse 11

    Inschrift "1747 J.R." am Scheitel der Tordurchfahrt

  • Speiersgasse 6

    Rokoko-Madonna (renoviertes Original)

  • Speiersgasse 11

    Innenhof mit Fachwerk-Obergeschoss und Tordurchfahrt mit Haus- und Kellereingang.

  • Speiersgasse 11

    Original-Haustür

  • Speiersgasse 11

    Original-Zimmertür mit renovierten Original-Beschlägen!

  • Speiersgasse 11

    In der Tordurchfahrt: Ein Rokoko-Sockel fürs Schwalbennest?

Brech

Grundlegend anders als die anderen Ackerbürgerhöfe mit ihrem Fachwerk-Obergeschoss und ihrem Sattel- oder Halbwalmdach wirkt dieses schmucke, spätbarocke Mansarddachhaus. Es ist komplett massiv und verputzt (zumindest zur Straße hin), wurde 1747 von Jacob Reutti als sein eigenes Wohnhaus erbaut, demselben, der das Rosenbachsche Palais (Marktplatz 9) errichtet hat. Gesondert in der Denkmalliste aufgeführt ist die aus der Bauzeit stammende Rokoko-Madonna ("Immaculata"), in der Mitte zwischen den zwei Fensterpaaren des Obergeschosses. Alle Fenster haben stichbogige, profilierte Sandsteingewände mit Schlussstein, die korbbogige Toreinfahrt ist ebenfalls mit Sandstein eingefasst, auch die Ecklisenen und der Sockel sind aus Sandstein gearbeitet. Durch die Toreinfahrt (mit integrierter Tür) gelangt man in einen kleinen Innenhof, der bis zur Renovierung um 2010 komplett mit zusätzlichem Wohnraum zugebaut war. An der Rückseite des Innenhofs liegt ein ehemals landwirtschaftliches Nebengebäude.

Die erwähnte Renovierung wurde behutsam und denkmalgerecht durchgeführt. Sogar die Innentüren samt Beschlägen wurden zum großen Teil im Original erhalten, die Schlösser wieder gängig gemacht. Das Hoftor wurde komplett erneuert, wobei man sich nach überlieferten Dokumenten richtete.

Heinrich Weisel: Die lange Tradition des Blumenschmucks in Zeil

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Im Jahr 1746 bewohnte in der Speiersgasse der Steinhauermeister Jacob Reudig jr. mit seiner vielköpfigen Familie ein kleines Haus [dem Vorgängerbau der heutigen Hausnummer 11]. Er war ein sehr geschäftstüchtiger Lieferant, der den als Baumaterial begehrten Zeiler Sandstein für viele Baustellen in Bamberg, nach Schloß Seehof und auch nach Schloß Weißenstein bei Pommersfelden lieferte. Da es um diese Zeit in Bamberg große Baustellen gab, z.B. am Katharinen-Hospital, einem Altenheim für alte und kranke Menschen, hatte der in geschäftlichen Dingen durchaus nicht zimperliche Meister mit seinen Gesellen und Lehrbuben viel zu tun, um das benötigte Baumaterial beizuschaffen und konnte entsprechend viele Zahlungseingänge verzeichnen.
Neben seinem für das Geschäft notwendigen Steinbruch besaß Meister Reudig aber auch Äcker, Wiesen, Weinberge, zwei Zugochsen für den Steinabtransport sowie eine kleine Schafherde. Da er die dadurch anfallenden Arbeiten nicht auch noch selbst ausführen konnte, beschäftigte er damals auch einen "Dienst=Knecht" mit Namen Hannß Jörg Busch, der für ihn auf den Feldern arbeitete.
Jacob Reudig kam bei seinen vielen geschäftlichen Verbindungen nach Bamberg auch in höfische Gärten oder in Klostergärten und nahm nicht nur die Bestellungen für Steine zu Figuren, Beeteinfassungen oder Bänken entgegen, sondern er sah dort erstmals auch bewußt, welche Blumenpracht in den ihm vorher unbekannten Anpflanzungen des Betrachters Auge erfreuen konnten. Nach der Rückkehr erzählte er seiner Ehefrau Magaretha von der gesehenen Blumenpracht, oder er brachte ihr vielleicht gleich mehrere Blumenstöcke als Überraschung mit. Sie war nach dem Tod der beiden ersten Ehefrauen des Meisters schon die dritte und um einiges jünger, sie war eine geborene Mantel aus Krum. Sicherlich nahm sie voller Freude die mitgebrachten Blumen entgegen und pflanzte sie gleich für alle Nachbarn sichtbar vor ihr Haus, es waren "Nägelein", die einfache Form einer Nelkenart.
Der Dienstknecht von Jacob Reudig wurde, wie früher üblich, alljährlich neu verdingt und der Lohn sowie oft ein Kleidungsstück für seine Arbeit vereinbart. So war es auch im Jahr 1745 geschehen und der Bedienstete bekam am Jahresende seinen Lohn ausbezahlt. Es war aber auch ausgemacht, daß der Knecht noch ein neues weißes Hemd dazu bekommen sollte. Reudigs Ehefrau Margaretha hatte dem Hannß Jörg Busch bei der Auszahlung seines Lohnes versprochen, daß er das vereinbarte Hemd noch bekäme, sobald der Hemdenstoff weiß gebleicht sei. Zeuge dieses Versprechens in Zeil war sogar der bambergische Kastner (=Amtmann), bei dem die Zahlungsmodalitäten vereinbart wurden. Als jedoch vom nächsten Jahr 1746 schon die Hälfte verflossen war, ohne daß Busch sein versprochenes Sonntagshemd erhalten hätte, wurde dieser ungehalten. Er ging in seiner Wut auf das Rathaus, verklagte deswegen den Jacob Reudig und bat um Unterstützung seitens der Obrigkeit wegen des Hemdes. Bei seiner Vorladung gestand der beklagte Meister Reudig sofort, dem Kläger noch das vereinbarte Hemd schuldig zu sein. Doch dieser habe "boßhafftiger weiß" die von seiner Ehefrau gepflanzten Nägeleinsstöcke vor dem Haus herausgerissen und beschädigt, er müsse also den Schaden von 24 Batzen ersetzen. Die 24 Batzen waren umgerechnet 96 Kreuzer und dies waren vier Taglöhne eines Steinhauermeisters. Die Blumen waren also damals recht teuer. Busch wies diese vorgebrachte Anschuldigung zurück. Daraufhin wurde dem Jacob Reudig aufgetragen, daß er innerhalb von 8 Tagen nachzuweisen habe, "daß Busch ihme an seinen Nägeleins Stöcken geflissentlich Schaden gethan" habe, andernfalls müsse er einen Preis für das vereinbarte Hemd bezahlen.
Wie die Sache endete, ging aus dem Protokoll nicht mehr hervor. Doch durch diesen gerichtsmäßig aktenkundigen Vorgang weiß man nun in Zeil für immer schwarz auf weiß, seit wann hier Blumenschmuck vor dem Haus angepflanzt wird. Man könnte meinen, daß sich diese Tradition bis heute erhalten hat.
Anstelle [des heutigen] stattlichen Hauses stand vorher ein kleines Häuslein mit Erdgeschoß und Dachgeschoß und mit einer dazugehörigen Scheune. Im Jahr 1737 kaufte es der Steinhauermeister Jacob Reudig jr. für 170 Gulden von dem Vorbesitzer Georg Rügheimer ab und zog mit seiner bis dahin 7-köpfigen Familie ein, die sich aber noch um einige Kinder vergrößerte. Vor diesem Häuslein geschah 1746 der oben geschilderte Frevel mit den herausgerissenen Nelkenstöcken. Als Meister Reudig um 1745/46 geschäftlich recht erfolgreich war und zu notwendigem Baugeld kam, riß er 1747 das alte Häuslein ab und errichtete 1748 dieses noch heute erhaltene barocke Wohnhaus ..., das vom Können eines erfolgreichen Handwerksmeisters zeugt.

2004 Copyright by Heinrich Weisel, Zeil